„Ein ganzes halbes Jahr“ von Jojo Moyes erzählt eine Liebesgeschichte ohne happy end
Wer den Film „Ziemlich beste Freunde“ gesehen, hat, wird auch dieses Buch mögen, das im August 2013 als Taschebuch bei rowohlt erschienen ist: „Ein ganzes halbes Jahr“ von Jojo Moyes. Zwar hat die Autorin inzwischen schon zwei weitere Romane veröffentlicht, doch dieser erste ist unbedingt empfehlenswert, denn es geht um eine existentielle Frage: Darf man einen Menschen dabei unterstützen, sein Leben selbstbestimmt zu beenden. Diese Frage wird im Buch der 1969 in London geborenen Autorin und Journalistin Moyes klar beantwortet.
Der Stoff stammt aus der Realität: Jojo Moyes hatte von dem Schicksal eines jungen Rugbyspielers erfahren, der nach einem Unfall bei einer Sterbehilfeorganisation den Tod suchte – und dabei von seinen Eltern unterstützt wurde. Zuerst hat sie nicht verstanden, wie Eltern ihrem Kind beim Sterben helfen könnten. Doch dann wurde ihr klar, dass niemand das Recht hat, für einen anderen zu entscheiden, ob er sein Dasein lebenswert findet. „Ich könnte das Schicksal, komplett gelähmt und stets auf Hilfe angewiesen zu sein, nicht ertragen“, bekennt die Autorin in einem Interview.
Genau in dieser Lage befindet sich Will, 35, der durch einen Unfall zum Tetraplegiker wurde. Sein Rückenmark wurde verletzt, er kann Arme und Beine nicht mehr bewegen. Ein unerträgliches Schicksal für den ehemaligen erfolgreichen Geschäftsmann, der einen Haufen Geld verdiente, Risiko-Sportarten und Sex liebte. Seine reichen Eltern gestalten ihr Haus um und organisieren optimale Bedingungen, damit Will betreut und gepflegt werden kann.
Will möchte sterben
Will ist anders als Samuel Koch, der in 2010 in der Gottschalk-Show “Wetten dass…“ schwer verunglückte, seitdem querschnittsgelähmt ist und trotzdem in Hannover Schauspiel studierte. Samuel Koch gehört ab der Spielzeit 2014/15 zum Ensemble des Schauspiels am Darmstädter Staatstheater. Aber Will kann zwei Jahre nach dem Unfall nichts mehr mit seinem Leben anfangen. Er möchte sterben.
Er will Kontakt zu „Dignitas“ in der Schweiz aufnehmen und alles so vorbereiten, dass er zu einem selbst bestimmten Zeitpunkt einen tödlichen Drink zu sich nehmen und sterben kann.[1]
Mit seiner Mutter, die Juristin ist, handelt Will einen Vertrag aus: In den folgenden sechs Monaten wird er keinen weiteren Suizid-Versuch unternehmen; danach werden die Eltern, die natürlich auf einen Sinneswandel hoffen, Will unterstützen, in die Schweiz zu reisen und sein Leben zu beenden.
In dieser Situation kommt die 26 Jahre alte Louisa ins Spiel. Lou stammt aus einer armen Arbeiterfamilie und hat gerade ihren Job in einen Café verloren, mit dem sie die Familie über Wasser hält. Auf das Angebot, Will zu betreuen und ein bisschen fröhlich zu machen, lässt sie sich ein, weil er sehr gut bezahlt ist. Für neun Pfund sie Stunde lässt sich Lou in den ersten Wochen von Will unfreundlich behandeln Sie hasst ihn, weil er so abweisend ist, aber sie braucht das Geld.
Die allmähliche Annäherung von Will und Lou ist nachvollziehbar geschildert. Lou organisiert einen „Abenteuer.Kalender“, um Will aus dem Haus zu bringen: Sie besucht mit ihm Pferderennen und Konzerte, sie begleitet ihn auf die Hochzeit seiner Ex-Freundin, die sich einen anderen zum Heiraten gesucht hat. In all diesen Szenen wird immer wieder die große Kluft zwischen Arm und Reich in England sichtbar – aber auch die in Will wachsende Erkenntnis, dass das, was ihm fehlt, mit Geld nicht zu bekommen ist.
Will strengt sich an. Lou klarzumachen, dass sie ihr Leben nicht in dem englischen Nest fristen, sondern etwas daraus machen muss. Und umgekehrt versucht Lou durch ihre „Abenteuer“-Ausflüge, Will zu zeigen, dass sein Leben doch lebenswert ist.
Beide haben einander längst ins Herz geschlossen, bevor sie sich das gegenseitig eingestehen. Aber dann sagt Will auch Lou die Wahrheit: Auch ihre Liebe reicht nicht aus, um sein Leben sinnvoll zu machen – und er stellt an Lou das Ansinnen, ihn in die Schweiz zu begleiten. Wütend und tief enttäuscht bricht sie den Kontakt ab, um sich schließlich doch in der Schweiz auf seinem Sterbebett einzufinden, seinen Entschluss zu akzeptieren und die letzten Minuten seines Lebens zu teilen.
Das Buch ist ein Bestseller, es eignet sich gut als Filmstoff. Es trägt dazu bei, dass das wichtige Thema – selbstbestimmtes Sterben – gesellschaftlich mehr wahrgenommen wird. Denn die Diskussion über selbstbestimmtes Sterben fragt ja zunächst einmal nach selbstbestimmtem Leben, das nicht nur für Unfallopfer und Menschen mit Behinderung, sondern zunehmend auch für alte Menschen in unserer Gesellschaft in Frage steht.
Jojo Moyes, Ein ganzes halbes Jahr, rowohlt, August 2013, 14,99 €
[1] Wikipedia-Info zu Dignitas (lat. Für Würde): Der Verein „Dignitas Menschenwürdig leben – menschenwürdig sterben ) im Kanton Zürich wurde 1988 von dem Journalisten und Anwalt Ludwig A. Minelli gegründet und setzte sich für ein umfassendes Selbstbestimmungsrecht ein, das auch das Lebensende eines Menschen betrifft. Dignitas bietet auf Anfrage Beratung, Begleitung und Beihilfe zum Suizid. Bis Ende 2012 hat Dignitas rund 1.500 Menschen bei einem begleiteten Freitod assistiert und nach Schätzungen 30.000 bis 40.000 Menschen geholfen, ihren Wunsch nach Freitod fallen zu lassen.